Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Ein gutes Gehalt, geregelte Arbeitszeiten und ein Obstkorb sind schon lange nicht mehr ausreichend, um Bewerber:innen als Unternehmen von sich zu überzeugen. Viel mehr legen diese heutzutage Wert auf eine gute Mitarbeiter:innenkultur, eine ausgewogene Work-Life-Balance und Werte wie Gleichberechtigung oder Diversität. Um einen Einblick in die Unternehmenskultur der potenziellen Arbeitgeber:innen zu erhalten, stellen Arbeitssuchende neben den Stellenanzeigen auch die Unternehmensseiten in den sozialen Medien sowie die Einträge auf Bewertungsportalen auf den Prüfstand.
KURIER: Welche Unternehmenswerte sind Bewerber:innen und Mitarbeiter:innen im Arbeitsumfeld wichtig?
Kurtz: Wenn man über Kultur und Unternehmenswerte spricht, geht es ganz stark um die Sinnfrage. Dazu gehört, ob die Firma, für die ich arbeite, etwas Sinnvolles macht und verantwortungsvoll handelt, und ob ich mit meiner Arbeit einen Beitrag dazu leisten kann. Zudem legen Bewerber:innen Wert darauf, wie erfolgreich ein Unternehmen wirtschaftlich ist und wie resilient die Strukturen sind, sodass der wirtschaftliche Erfolg auch gehalten werden kann. Vor allem in Zeiten von Preiserhöhungen und Inflation wünschen sich Mitarbeiter:innen finanzielle Sicherheit. Darum sind die Wirtschaftlichkeit und das Gehalt wichtige Themen.
Zusätzlich wird die Mitarbeiterkultur in Unternehmen ein immer wichtigerer Aspekt, auf den Bewerber:innen achten. Hier geht der Trend in Richtung Menschen-Zentriertheit und Orientierung am Individuum. Das bedeutet, Mitarbeiter:innen nicht als Ressource zu sehen, sondern deren Bedürfnissen in den Fokus zu stellen. Es geht nicht mehr bloß darum, die Personen mit den richtigen Qualifikationen und Kompetenzen zu finden, sondern die passenden. Diese sollten die Unternehmenswerte teilen und einen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten wollen.
Wie wichtig sind Arbeitssuchenden Themen wie Homeoffice, Flexibilität oder Work-Life-Balance?
Diese Themen sind Bewerber:innen heutzutage natürlich auch wichtig. In Berufen, in denen Homeoffice möglich ist, steht das gar nicht mehr zur Debatte, sondern das Arbeitsmodell wird spätestens seit 2020 als Standard gesehen. Unternehmen, bei denen diese Flexibilität grundsätzlich möglich wäre und die trotzdem kein Homeoffice anbieten, haben mit Bewerber:innen – zumindest mit Bewerber:innen bestimmter Generationen – schon einen Konflikt.
Trends wie Work-Life-Balance, Work-Life-Blending oder die 30-Stunden-Woche haben auch Relevanz. Die zeitliche Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit ist heute viel wichtiger als noch vor 10 Jahren. Hier können einige Unternehmen noch dazulernen, vor allem, was die Flexibilität während eines Arbeitstags betrifft, beispielsweise wenn es darum geht, eine längere Mittagspause zu machen, um zum Sport gehen oder die Kinder zu versorgen. Natürlich gibt es Branchen, die davon ausgenommen sind, wie etwa der Handel, oder auch Personen in Einstiegspositionen. Bewerber:innen müssen hier einfach genau schauen, was für sie passt.
Wie können Bewerber:innen Informationen über die Work-Life-Balance eines Unternehmens aus Stellenanzeigen und Social-Media-Seiten gewinnen?
Bevor Bewerber:innen Work-Life-Balance von den Arbeitgeber:innen fordern, sollten sie sich erst einmal ihrer eigenen Bedürfnisse bewusst werden: Wenn Sie gerade Ihre persönliche Weiterentwicklung und Karriere in den Fokus stellen, dann hat das Thema Work in den nächsten Jahren mehr Gewicht in Ihrem Leben. Wenn Sie umgekehrt gerade in einer Ruhephase sind und Ihr Fokus beispielsweise auf der Familie liegt, dann sollten Sie darauf achten, welche Möglichkeiten es dafür im Unternehmen gibt. Ich glaube, dass oft zu schnell eine Work-Life-Balance von Unternehmen gefordert wird, bevor Menschen überhaupt wissen, was sie wollen und was ihre Ziele in den nächsten Jahren sind. Und manche beruflichen Ziele können eben nur mit mehr Einsatz erreicht werden. Es gibt also Phasen, wo es mehr Work als Life gibt, und umgekehrt.
Wenn Sie sich im Klaren über Ihre Bedürfnisse sind, können Sie sich ansehen, wie das Unternehmen mit der Work-Life-Balance umgeht und ob es flexible Systeme gibt. Achten Sie hier in Stellenanzeigen, Social-Media-Posts oder Anzeigen besonders auf Worthülsen. Wenn ein Unternehmen zum Beispiel mit einer Vier-Tage-Woche wirbt, müssen Sie sich genau anschauen, was das bedeutet. Heißt das 38,5 bis 40 Stunden in vier Tagen oder 32 Stunden in vier Tagen für weniger Gehalt? Lassen Sie sich nicht von Werbeslogans fangen, sondern schauen Sie dahinter. Recherchieren Sie konkrete Beispiele dafür auf Bewertungsplattformen oder auf den Social-Media-Seiten des Unternehmens. Und bedenken Sie: Beim flexiblen Arbeiten verschwimmen die Grenzen von Berufs- und Privatleben. Überlegen Sie sich vorab, ob Sie das überhaupt wollen.
Wie spiegeln sich die Unternehmenswerte noch in den Stellenanzeigen und Social-Media-Beiträgen wider?
Bewerber:innen sollten ihr Augenmerk vor allem auf die Tonalität in den Social-Media-Beiträgen, Kampagnen und Stellenanzeigen richten. Das fängt schon damit an, ob Unternehmen ihre Bewerber:innen per Sie oder per Du ansprechen. Weitere Hinweise auf die Unternehmenskultur finden sich in den Texten oder in der Sprache. Sind die Texte sehr ernst formuliert oder mit einem Augenzwinkern? Zudem nutzen Unternehmen in ihren Stellenanzeigen oft Worthülsen wie etwa „teamorientiert“, „leistungsorientiert“ oder „dynamisch“. Auch hier sollten Sie nach konkreten Beispielen Ausschau halten: Werden diese Hülsen irgendwo veranschaulicht? Wie werden diese Werte konkret im Arbeitsalltag umgesetzt? Bei Unternehmen, die diese Worthülsen in Stellenanzeigen schön beschreiben und mit konkreten Beispielen belegen können, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass es sich nicht bloß um leere Floskeln handelt. Ansonsten können solche Phrasen ein Hinweis darauf sein, dass Unternehmen sich über ihre Kultur und Werte nicht ganz im Klaren sind.
Wie sieht es mit Bildern in einer Stellenanzeige aus: Was für Rückschlüsse können Arbeitssuchende daraus in Bezug auf das Arbeitsumfeld und die Zusammenarbeit im Unternehmen ziehen?
Hier können Sie sich ansehen, wie die Inhalte gestaltet sind: Ob Fotos gestellt wirken, ob sie natürlich wirken, ob diese in einem „perfekten“ Umfeld oder im Arbeitsumfeld geschossen wurden oder ob ohnehin nur Stock-Fotos verwendet werden. Das sagt viel über das Arbeitsumfeld in einem Unternehmen aus.
Wie sehen Sie Erfahrungsberichte und Bewertungsportale: Helfen diese, den Ruf und die Mitarbeiterzufriedenheit eines Unternehmens einschätzen?
Bei Arbeitgeberbewertungsportalen ist es wichtig, sich immer mehrere Bewertungen durchzulesen. Die Glaubhaftigkeit von einzelnen Bewertungen ist zu einseitig. Wenn es hingegen Themen – positiv wie negativ – gibt, die in mehreren Bewertungen auftauchen, dann ist das schon glaubhaft. Bei manchen Bewertungsplattformen gibt es die Möglichkeit, zu filtern und sich alle Bewertungen zu einem bestimmten Thema wie etwa Arbeitszeit oder Gehalt anzusehen. Schauen Sie sich also nicht nur die letzten zwei Einträge an, sondern berücksichtigen Sie das Feedback der letzten zwei bis drei Jahre und verschaffen Sie sich einen Gesamtüberblick, vor allem weil sich ja in den letzten Jahren seit Corona in den Unternehmen auch einiges getan hat.
Für Unternehmen bieten Bewertungsportale einen guten Rahmen, um authentischer zu kommunizieren als beispielsweise in einer klassischen Stellenanzeige, wo der Platz begrenzt ist. Was die Unternehmen auf Bewertungsportalen schreiben, wie sie auf Feedback reagieren und ob sie überhaupt reagieren, ist für Bewerber:innen durchaus interessant. Es ist ein Zeichen für die Unternehmenskultur, wenn sich Unternehmen mit Feedback auseinandersetzen, kritische Bewertungen intern weiterleiten und Veränderungen anstoßen.
Wie gehen Unternehmen mit Bewertungen und Erfahrungsberichten auf Social-Media-Plattformen um und welche Schritte werden unternommen, um das Feedback der Bewerber:innen zu berücksichtigen?
Gute Unternehmen reflektieren das Feedback, schreiben mindestens eine Stellungnahme und bieten auch die Kontaktaufnahme an, sodass die Beteiligten über das Problem sprechen und es lösen können. In meinen gesamten Jahren bei Iventa habe ich es allerdings nicht einmal erlebt, dass dieses Angebot wahrgenommen wurde. Oft lassen Mitarbeiter:innen oder ehemalige Arbeitnehmer:innen einfach ihren Frust auf Bewertungsportalen ab.
Es gibt auch Unternehmen, die nicht bloß auf Feedback reagieren, sondern Bewertungsplattformen aktiv nutzen. Diese schauen sich regelmäßig an, welche Themen immer wieder in den Bewertungen vorkommen, um intern Prozesse anzustoßen. Wenn Unternehmen hingegen gar nicht mit Stellungnahmen auf Feedback eingehen, können Sie zumindest davon ausgehen, dass sie die Bewertung gelesen haben. Dann nicht zu antworten, sagt auch etwas über die Selbstreflexion des Unternehmens aus. Iventa bietet auch Workshops für Unternehmen an, wo diese lernen, wie sie mit Feedback oder Kritik auf Bewertungsplattformen oder in den sozialen Medien umgehen. Die hohe Nachfrage dieser Workshops ist ein Indiz dafür, wie ernst der Großteil der Unternehmen Bewertungsportale nimmt.
Welche Anzeichen für eine Innovationskultur können Bewerber:innen neben Stellenanzeigen auch in den Social-Media-Beiträgen eines Unternehmens entdecken?
Das ist immer ein bisschen schwierig, denn Unternehmen müssen sich fragen, wie viel Innovation sie nach außen tragen, ohne dem Mitbewerb eine Vorlage zum Abkupfern zu bieten. Es werden also sicherlich nie alle Innovationen, an denen gearbeitet wird, nach außen getragen. Sie können sich aber anschauen, wie zukunftsorientiert beispielsweise die Texte formuliert sind. Erzählen Unternehmen immer nur davon, was sie schon alles gemacht haben, oder verraten sie auch Pläne, was sie zukünftig vorhaben? Suchen Sie in Stellenausschreibungen danach, ob das Unternehmen Auskünfte gibt, wie potenzielle Mitarbeiter:innen die Zukunft mitgestalten können. Und schauen Sie auch nach links und rechts. Betrachten Sie nicht nur die Stellenausschreibung oder die Karriereseite des Unternehmens isoliert, sondern werfen Sie auch einen Blick auf die Website und schauen Sie, was dort im Hinblick auf Innovationen steht.
Innovation ist aber nicht unbedingt ein Wert, der für jede:n Bewerber:in erfüllt sein muss – es muss auch zu den Bewerber:innen passen: Menschen, die mit permanenter Veränderung nicht umgehen können, suchen nicht nach Innovation, sondern nach Routine. Dann passt Innovationskultur nicht. Nicht jede:r muss in einem innovativem Start-up arbeiten, für manche sind etabliere Unternehmen mit festen Strukturen besser geeignet.
Wie können die eigenen Mitarbeiter:innen dabei helfen, eine Arbeitgebermarke zu entwickeln?
Grundsätzlich sollten Arbeitnehmer:innen immer Teil des Prozesses sein. Bei Iventa sind Mitarbeiter:innen immer beteiligt, wenn bestehende Positionierungen aktualisiert oder neue Werte erarbeitet werden. Dann befragen wir sie und holen uns die Informationen direkt von ihnen. Es gibt kein Unternehmen ohne Unternehmenskultur und die Mitarbeiter:innen sind die Personen, die diese Kultur leben, aber auch die, die die Kultur beschreiben. Wie aktiv die Arbeitgebermarke mitgestaltet wird, ist eine Führungsaufgabe. Denn es ist deren Aufgabe, einen Rahmen für Mitgestaltung zu schaffen und das Team mit an Bord zu holen. Input von den Arbeitnehmer:innen sollte angenommen und reflektiert werden.
Unternehmen können die Etablierung einer Arbeitgebermarke nicht einfach auf die Mitarbeiter:innen abwälzen. Ich kann als Chef:in nicht sagen „Unser Unternehmen ist jung, dynamisch und sexy, also seid bitte alle jung, dynamisch und sexy“. Es gehört ein Plan dazu und Führungskräfte sind wichtige Enabler:innen, dass eine Arbeitgebermarke im Unternehmen glaubwürdig und erlebbar gemacht wird. Dazu gehört das Einbeziehen des Teams. Dann tun sich Mitarbeiter:innen auch leichter, die Kultur zu leben, weil sie dafür auch Inhalte geliefert und diese mitgestaltet haben.